Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 9

Live Bilder aus Ägypten: Einem Land platzt der Kragen
Volksaufstand in Ägypten: Ticker
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Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 8

Öffentlich zugängliche Quellen:
Live TV Stream Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/watch_now/
Twitter Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/01/201112523026521335.html
Ticker Al Jazeera: http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/02/01/live-blog-feb-2-egypt-protests

Mittwoch, der 2.Februar, Tag 9 des Volksaufstandes in Ägypten. Es ist Mitternacht in Kairo. Der Diktator Husni Mubarak hat am späten Abend eine lang angekündigte Rede gehalten.

Entgegen der Forderungen der Bevölkerung, die im Zuge eines innerhalb von Tagen spontan organisierten „Marsch von Millionen“ den Tag über in ganz Ägypten auf den Straßen war, verkündet der Diktator nicht etwa seinen Rücktritt, sondern Verbleib im Amt bis zu den nächsten regulären Präsidentschaftswahlen im September an. Gleichzeitig verlautbart er, dass seine Top-Priorität nun auf der Herstellung von „Stabilität und Sicherheit“ sei.

Die Menschen auf dem Tahrir-Platz reagieren aufgebracht und wütend. Sie fordern den Diktator auf sein Amt aufzugeben und kündigen an, am Freitag zum Präsidentenpalast zu marschieren. Der Marsch war bereits zum „Marsch der Millionen“ angekündigt; doch aus bislang unbekannten Gründen fand er nicht statt. Von Gesprächen ist die Rede, zwischen Mubaraks Stellvertreter, Spionage-Chef Omar Suleiman und Oppositionsparteien.

Kurz nach Mubaraks Rede erscheint am Dienstag Abend eine kleine Gruppe Pro-Mubarak-Demonstranten in Alexandria auf dem Versammlungsplatz der Regime-Gegner und beginnen Auseinandersetzungen. Die Armee fährt mit Panzern dazwischen und feuert Warnschüsse ab.

Auch aus Kairo berichtet Al Jazeera Korrespondent Ayman Mohyeldin in einem Telefonanruf von ähnlichen Vorfällen. Nach Mitternacht berichtet er nun, mittlerweile in Sicherheit, wie sich die Ereignisse abgespielt haben:

Als Mohyeldin mit seinem Team den Tahrir-Platz verlassen will, wird er von Demonstranten vor Pro-Mubarak-Provokateuren gewarnt, die sich Richtung des Versammlungsplatzes bewegen. Zunächst nimmt er diese Warnungen nicht ernst. Einige Straßen weiter trifft sein Team dann tatsächlich auf die Pro-Mubarak-Gruppe aus ca. 300-400 Personen. Reporter Mohyeldin vermutet aufgrund ähnlicher Vorfälle in Wahlkämpfen unter dem Mubarak-Regime bezahlte Mitglieder der Staatspartei NDP unter den Pro-Mubarak-Demonstranten, die sich allerdings nur ein paar Hundert Meter an den Tahrir-Platz heran bewegt hatten. Das Militär habe sich zurückgehalten, so der Korrespondent, da es keine unmittelbare Auseinandersetzung mit Regime-Gegnern gegeben habe.

00.20 Uhr

In Washington wird eine Rede von US-Präsident Barack Obama erwartet.

00.45 Uhr

Die Rede Obamas beginnt. Der US-Präsident sagt sinngemäß:

Wir verfolgen hinsichtlich Ägypten drei Prinzipien.

1. Wir lehnen Gewalt ab.

2. Wir stehen für die universellen Menschenrechte, Versammlungsfreiheit und Redefreiheit.

3. Es muss einen Wandel geben. Das muss jetzt beginnen. („it must begin now“). Mubarak hat verstanden, dass der Status Quo nicht haltbar ist. Es muss einen friedlichen und geordneten Übergang der Macht geben. Nur die ägyptischen Führer sind dazu in der Lage. Nur die Ägypter können ihre Führer bestimmen. Es muss eine Regierung in Ägypten geben, die nicht nur demokratisch, sondern auch in der Lage ist die Anliegen der Menschen in Ägypten anzunehmen.

Wörtlich sagt Obama:

„Ein geordneter Übergang muss sinnvoll sein, er muss friedlich sein und er muss jetzt beginnen.“

Desweiteren lobt der Präsident der USA ausdrücklich das ägyptische Militär für seine an den Tag gelegte „Professionalität“ und seinen „Patriotismus“.

Ägypten: Szenen vom gestrigen Abend auf dem Tahrir-Platz werden bekannt. Hier Aufnahmen eines Al Jazeera Reporters direkt in der Menschenmenge, die auf die Rede Mubaraks reagiert.

Reporter vor Ort  berichten, die Menschen rufen „Wo ist die Armee, Wo ist die Armee?“ und verlangen die Entmachtung des Diktators.  Der leitende Al Jazeera Analyst Marwan Bishara:

„Was wichtig ist, ist was das Mubarak-Regime ersetzt, nicht wer die Person Mubarak ersetzt. Die Person Mubarak zu ersetzen, aber das Mubarak´s Regime zu erhalten, wäre bedeutungslos, weil jede neue Führungsfigur der gleichen bankrotten Machtstruktur dienen würde, nicht den Menschen.“

Die „Los Angeles Times“ berichtet vom Unternehmer Hadid Habbab, der seinen vermissten Freund Wael Ghonim sucht, einen Angestellten von Google. Ghonim ist seit Donnerstag verschwunden.

Im Internet macht eine Anleitung die Runde: „Wie man keinen Blödsinn über Ägypten erzählt. Der Volksaufstand in Ägypten sei keine „Twitter Revolution“. Die in den Schlagzeilen internationaler Medien verwendeten Stereotypen seien Unsinn:

„Nein, dies ist die Revolution des ägyptischen Volkes. Ägypter haben seit Jahrzehnten Widerstand geleistet. Sie wurden gefoltert, ins Gefängnis geworfen durch die Mubarak- und Sadat-Regime. Twitter und Facebook sind Instrumente. Sie stehen nicht vor den Wasserwerfern, oder gehen zur Belohnung dafür nicht all die Jahre ins Gefängnis.“

Bilder der „New York Times“ vom Tag 8 des Volksaufstandes. Sie zeugen von den Menschen, die all dies ermöglicht und erkämpft haben. Hier ein Bild, das gerade Ausländern wie uns zu denken geben sollte, ehe wir über die Freiheitsbewegung der Ägypter urteilen, nach 30 Jahren Ausnahmezustand und Polizeistaat.

10.00 Uhr

Kairo: Die Menschen versammeln sich abermals auf dem Tahrir-Platz. Tausende haben dort bei klirrender Kälte übernachtet.

Derweil im Jemen: Diktator Ali Abdallah Saleh, immerhin zwei Jahre länger als Mubarak an der Macht, macht es angesichts massiver Proteste der Bevölkerung seinem ägyptischen Kollegen nach und sagt, er werde noch bis nächstes Jahr im Amt bleiben und dann nicht mehr zur nächsten „Wahl“ antreten. In Deutschland macht das SPD-nahe neokonservative „Hamburger Abendblatt“ daraus: „Präsident Saleh tritt ab“.

Kommentar:

Nur nicht dem Druck der Straße nachgeben. Nur nicht dem Druck der Straße nachgeben. Nur nicht dem Druck der Straße nachgeben.

Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

11.00 Uhr

Die Armee fordert von den Ägyptern ein Ende der Demonstrationen. In einer Fernsehansprache des Armee-Sprechers Ismael Etman wiederholt dieser insgesamt die Argumente des Diktators und fordert die Menschen auf, den Generalstreik einzustellen, wieder zur Arbeit zu gehen und die Geschäfte zu öffnen, damit wieder „ein normales Leben“ geführt werden könne.

11.10 Uhr

Soeben taucht eine größere Zahl von Pro-Mubarak-Demonstranten vor einem Hotel auf, in dem vor allem Journalisten untergebracht sind. Unter den Pro-Mubarak-Demonstranten (wie könnte es auch anders sein), Korrespondentin Jacky Rowland. Sie hatte bereits in den letzten Tagen in ihren Berichten die Argumente der Diktatur (Stabilität, Sicherheit) monoton und ausführlich wiederholt.

Analyse: Wie ich gestern bereits schrieb, war es ein großer, vielleicht entscheidender Fehler des „Marsches der Millionen“, nicht zum Präsidentenpalast zu marschieren und so eine Entscheidung zu erzwingen. Hinter den Kulissen arbeiten die Kräfte der Diktatur (mit ganz sicher anwesenden guten Freunden aus dem Ausland) daran, die für den Volksaufstand selbst bedeutungslosen Oppositionsparteien mit Versprechungen und Geld zu kaufen. Das ist offensichtlich bereits gestern geschehen: anders kann das Fehlen sämtlicher leitender Funktionäre aller sogenannter Oppositonsparteien auf dem Tahrir-Platz nicht erklärt werden. Die Erklärung des gestern ebenfalls abwesenden Mohammed El Baradei, der Diktator habe noch drei Tage bis Freitag Zeit zurückzutreten, spricht für sich.

Hier wurde dem Volksaufstand das Momentum geraubt. Anschließend ergriff die Diktatur wieder die Initiative. Wenn die Ägypter jetzt nicht politisch unerbittlich und entschlossen reagieren und endlich auf den Präsidentenpalast marschieren, bricht der Volksaufstand und die Freiheitsbewegung in sich zusammen. Dann werden ein paar korrupte Kollaborateure in das Mubarak-Regime aufgenommen und alles geht einfach weiter – wie in den letzten 30 Jahren.

Auf irgendwelche Hilfe aus den USA, aus Europa oder irgendwelchen Medien (auch von uns) können die Ägypter nicht hoffen.

Es ist ihr Land, es ihr Leben und sie haben jetzt die Entscheidung.

11.33 Uhr

Abdel Abu El Fatouh, Muslimbruderschaft, in einem Interview mit Al Jazeera:

„(Wir) unterstützen die Proteste bis Mubarak zurücktritt. Keine Gespräche mit Vize-Präsident Suleiman bis Mubarak zurücktritt.“

12.00 Uhr (13 Uhr ägyptischer Zeit)

In Kairo ist der Tahrir-Platz wieder gefüllt mit Menschen.

Das Internet ist in Ägypten mehr und mehr wieder erreichbar.

Ein paar Banken haben geöffnet. Doch der Generalstreik geht weiter. Die Preise für Lebensmittel sind explodiert. Es gibt lange Schlangen vor Tankstellen.

Das Mubarak-Regime kündigt in einer Ansprache eine Verfassungsreform an – in zwei Monaten.

Wie Korrespondentin Jane Dutton vom Kairoer Tahrir-Platz berichtet, verlangen die Menschen weiterhin einen Rücktritt des Diktators vor Gesprächen mit dem Regime.

12.08 Uhr

Korrespondentin Jacky Rowland berichtet wieder einmal von den Pro-Mubarak-Demonstranten. Ihren Angaben zufolge sind es bereits Tausende und befinden sich nur einen halben Kilometer vom Tahrir-Platz entfernt.

12.11 Uhr

Der Analyst des Brookings Doha Center, Shadi Hamid, ist auch wieder da (Radio Utopie berichtete). Im Al Jazeera Live Stream erklärt er, die Unterstützer des Dikators würden versuchen, „das Momentum zurückzugewinnen„.

Analyse: Na so eine Überraschung.

14.00 Uhr

Zehntausende Menschen sind auf dem Tahrir-Platz. Die Pro-Mubarak-Demonstranten sind ebenfalls auf den Platz gezogen. Das Militär ist plötzlich verschwunden.

Nun stehen sich beide Gruppen direkt gegenüber, auf dem Tahrir-Platz. Doch es kommt nicht zu Auseinandersetzungen. Beide Gruppen, die Regime-Gegner weit in der Überzahl, rufen ihre Forderungen. Doch sie kämpfen nicht.

Analyse: Auch das haben sich die Provokateure und die mit dem Diktator Mubarak nun offen kollaborierende Armee-Führung sicherlich anders vorgestellt. Wenn es nicht zu Straßenschlachten, sondern zu einem politischen Kräftemessen zwischen den Ägyptern auf dem Tahrir-Platz kommt, können die Kräfte der Diktatur nur unterliegen.

13.25 Uhr

Nun sind die Straßenschlachten ausgebrochen. Wie der Al Jazeera Reporter berichtet, wurden zunächst Regime-Gegner mit Verletzungen berichtet. „Eher“ die Pro-Mubarak-Provokateure hätten mit Gegenständen geworfen, doch beide Seiten hätten nach Ausbruch der Straßenschlacht um den Verbleib auf dem Tahrir-Platz miteinander gekämpft.

13.29 Uhr

Die Straßenschlacht ist in vollem Gang. Die Pro-Mubarak-Gruppen haben Berichten zufolge Waffen auf den Platz gebracht (das Militär hat sich zuvor zurückgezogen).

Brookings Doha Center-Analyst Shadi Hamid dazu live auf Al Jazeera: „Die Konterrevolution hat begonnen“. Hamid gibt die Taktik des Regimes selbst wieder: jetzt würden die Leute sehen, das komme dabei raus, es sei Zeit nach Hause zu gehen.

Eine Augenzeugin berichtet am Telefon von eingesickerten Undercover-Polizisten mit Schusswaffen und der Bewaffnung von Pro-Mubarak-Aktivisten. Sie berichtet von Verletzten und einer Person, deren Kopf vollständig zerschmettert ist.

Die Zeugin berichtet von Menschen, die auf den Tahrir-Platz eilen.

13.38 Uhr

Die Pro-Mubarak-Gruppe ist vom Tahrir-Platz vertrieben worden. In den Seitenstraßen gehen die Auseinandersetzungen weiter. Von der Armee ist weit und breit nnichts zu sehen. Die Muslimbruderschaft beschuldigt die Armee, die Provokateure auf den Platz gelassen zu haben.

13.41 Uhr

Ein Al Jazeera Korrespondent (nicht Jacky Rowland) meldet per Telefon von der Pro-Mubarak-Gruppe, dass diese von einem Truck mit einem Soundsystem angeführt wird, in dessen Fahrerkabine uniformierte Polizisten sitzen.

Analyse: Die Diktatur versucht mit eigenen, scheinbar zivilen Gruppen den Volksaufstand zu sabotieren. Erkennbar ist dieser Entschluss des Mubarak-Regimes an oberster Stelle getroffen worden. Diese (neue) Taktik der Aufstandsbekämpfung trägt die Handschrift von Mubaraks Stellvertreter Omar Suleiman, seit 1993 Chef des berüchtigten „Allgemeinen Nachrichtendienstes“. Nach dem Versuch mit seinen Kräften verdeckt Plünderungen, Vandalismus und Zerstörung zu organisieren um so das immer wieder beschworene „Chaos“ zu erzeugen (angesichts dessen die Mittelschichten traditionell meist die „Stabilität“ des Weiter-So wählen), versucht er es jetzt mit zivil erscheinenden Truppenteilen.

13.50 Uhr

Das Militär erscheint wieder am Tahrir-Platz. Panzer fahren zwischen die Regime-Gegner und die Pro-Mubarak-Gruppen.

Soldaten klettern auf die Panzer und schwingen die Nationalflagge. Sie rufen „genug, genug“.

Ein Mubarak-Gegner berichtet, die Pro-Mubarak-Gruppe hätte sich vom Nationalmuseum auf den Tahrir-Platz bewegt. Diese liegt direkt neben dem Gebäude der Staatspartei NDP.

14.00 Uhr

Die Pro-Mubarak-Demonstranten sind offensichtlich wieder vorgerückt. Die Regime-Gegner sind auf die Mitte des Tahrir-Platzes zurückgewichen.

Mindestens acht Mubarak-Unterstützer auf Pferden und einer auf einem Kamel kommen auf den Tahrir-Platz geritten und reiten dabei rücksichtlos Personen über den Haufen. Mindestens zwei von ihnen werden von Regime-Gegnern vom Pferd geholt und überwältigt.

Die Soldaten auf den Panzern stehen hilflos daneben. Sie versuchen keine Schusswaffen einzusetzen (was ganz offensichtlich das Ziel der Kräfte der Diktatur ist).

Analyse: Die Mubarak-Unterstützer werden bald zurückgeschlagen sein, wenn sie selbst keine Schusswaffen einsetzen.

Entscheidend wird sein, was dann passiert. Setzen die Mubarak-Unterstützer Schusswaffen ein, wenn sie verlieren? Die Regime-Gegner, die das gesamte ägyptische Volk repräsentieren, sollten jedenfalls alles tun, um Provokateure in den eigenen Reihen – die ebenfalls der Diktatur den Gefallen tun könnten Schusswaffen oder Messer einzusetzen und ein Massaker zu beginnen – zu identifizieren und auszuschalten.

14.11 Uhr

Die von Polizei und anderen staatlichen Sicherheits- und Stabilitätskräften angeführten Mubarak-Unterstützer sind offensichtlich wieder auf dem Rückzug. Die Regime-Gegner rücken vor. Von allen Seiten strömen Kairoer auf den Tahrir-Platz um die Freiheitsbewegung zu verteidigen.

Die Unterstützer der Diktatur haben sich in Seitenstraßen zurückgezogen.

Derweile nehmen die Berichte über eine direkte Führung der Mubarak-Unterstützer durch die Polizei Mubaraks zu. Auch der Gebrauch von Tränengas weist darauf, dessen Schwaden kurz nach dem Angriff der Mubarak-Unterstützer über den Tahrir-Platz gezogen waren.

Anhänger der Freiheitsbewegung halten Polizei-Ausweise in die Kameras, die sie den zurückgeschlagenen Mubarak-Unterstützer abgenommen haben.

Der Analyst des Brookings Doha Center, Shadi Hamid, spricht von einem „nächsten Level“.

14.35 Uhr

Regime-Gegner beschuldigen Gangs der Staatspartei NDP mit anderen Mubarak-Unterstützern die Freiheitsbewegung auf dem Tahrir-Platz angegriffen zu haben.

14.45 Uhr

Ein Sprecher Muslimbruderschaft betont in einem Telefoninterview, dass die Demonstrationen gegen das Regime komplett friedlich gewesen seien und ruft die Weltöffentlichkeit auf, das Recht auf Demonstration gegen das Regime zu verteidigen.

14.48 Uhr

Dramatische Bilder (Korrektur): Mubarak-Unterstützer rücken vor und drängen die Regime-Gegner zurück Richtung Tahrir-Platz. Einzelne Regime-Gegner stürzen. Sofort werden sie von Mubarak-Unterstützern umringt, die auf sie einprügeln.

Kommentar: Es ist nur zu hoffen, dass keine Menschen um´s Leben oder schwer verletzt werden. Die Armee jedenfalls tut nichts und greift nicht ein. Wenn sie das allerdings täte, besteht die Gefahr, dass Schusswaffen eingesetzt werden und die Situation (zugunsten des Regimes) außer Kontrolle gerät und das von der Diktatur ersehnte „Chaos“ ausbricht.

An alle Leserinnen und Leser: verbreiten Sie bitte über alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die oben verlinkten öffentlichen Quellen und diesen Artikel.

16.00 Uhr

Sondereinheiten der Polizei sind in Nebenstraßen aufgetaucht.

Schüsse sind zu hören. (Später dementiert die Armee, dass sie die Schüsse abgefeuert hat.)

Wie ein Korrespondent vor Ort per Telefon berichtet, sind drei Militärfahrzeuge von Mubarak-Unterstützern gestürmt und gekapert worden. Nun werden sie von den Mubarak-Unterstützern als Barrikaden benutzt.

15.10 Uhr

Regime-Gegner rücken vor und vertreiben die Unterstützer der Diktatur von den Armeefahrzeugen.

15.19 Uhr

Eine Korrespondentin berichtet: ein Panzer der Armee fährt zwischen die Regime-Gegner und die Mubarak-Unterstützer. Die Mubarak-Unterstützer klettern daraufhin auf den Panzer und versuchen ihn zu entern. Daraufhin zieht sich der Panzer wieder zurück.

Die Mubarak-Unterstützer setzen das Gebäude einer großen Versicherungsfirma in Brand.

15.30 Uhr

Offenbar sind die zu hörenden Schüsse Warnschüsse der Armee gewesen. (Wie beschrieben, hat die Armee dementiert Schüsse abgefeuert hat.)

Die Lage ist unübersichtlich.

Korrespondentin Jacky Rowland, auf einem Balkon nahe des Nationalmuseums, von dem die Mubarak-Unterstützer vorrückten, erklärt den Tahrir-Platz zum „Epicenter“ des Kampfes um Ägypten.

Analyse: Endlich sind wir mal einer Meinung.

15.38 Uhr

Der Sprecher einer Oppositionspartei kündigt an, dass die Freiheitsbewegung am Freitag auf den Präsidentenpalast des Diktators marschieren wird.

15.42 Uhr

Mehrere Korrespondenten (darunter Reporter Joe Stork) berichten, dass auf dem Tahrir-Platz viele Verletzte von Auseinandersetzungen mit den Mubarak-Unterstützern eintreffen. Sie zeigen Wunden von Pflastersteinen und Knüppeln, allerdings keine die auf den Einsatz von Messern oder Schusswaffen hindeuten. Joe Stork zu den Pro-Mubarak-Gruppen: „Ich würde sie nicht Demonstranten nennen“. Dies seien Gangs des Regimes und extrem aggressiv.

15.46 Uhr

An der Frontlinie zwischen den Regime-Gegnern und den Mubarak-Unterstützern wird Tränengas eingesetzt. Es ist unklar von wem.

Erneut sind Schüsse zu hören. Der Militärhelikopter kreist wieder über dem Tahrir-Platz.

Jacky Rowland berichtet (offenbar begeistert) , dass die Mubarak-Unterstützer wieder bis zu den von ihnen gekaperten und zerstörten Militärfahrzeugen vor dem Nationalmuseum vorgerückt sind. Die Regime-Gegner sind 100 Meter Richtung Tahrir-Platz zurückgewichen.

15.52 Uhr

Die Mubarak-Unterstützer benutzen nun die Militärfahrzeuge, um zum Tahrir-Platz vorzurücken. Sie schieben die Fahrzeuge vor sich hier und rücken in dessen Deckung weiter vor.

Über Kairo ist Rauch zu sehen, offensichtlich von dem Versicherungsgebäude, dass die Mubarak-Unterstützer vor den Augen einer Al Jazeera-Korrespondentin in Brand gesetzt haben.

15.56 Uhr

Die Regime-Gegner rücken wieder vor. Die Mubarak-Unterstützer werden zurückgeschlagen und lassen die Militärfahrzeuge stehen.

16.00 Uhr

Mubarak-Unterstützer werfen vom Dach eines Gebäudes am Tahrir-Platz massiv Steine und Gegenstände auf die Regime-Gegner auf dem Platz. Ein Korrespondent: „Die Leute rennen um ihr Leben.“

16.02 Uhr

Die Mubarak-Unterstützer sind wieder zu den leeren Militärfahrzeugen inmitten der Seitenstraße vorgerückt.

Sie versuchen nach eigenen Angaben gegenüber Reportern den Tahrir-Platz zu stürmen.

16.12 Uhr

Eine Zeugin berichtet in einem dramatischen Anruf, dass auf dem Tahrir-Platz überall Verletzte sind, keine einzige Ambulanz kommt und es keine ärztliche Versorgung gibt. (Hier Bilder der Live-Übertragung von Al Jazeera zu diesem Zeitpunkt. Ergänzung: Links sind die Mubara-Unterstützer, rechts die Demonstranten der Freiheitsbewegung zu sehen)

Ein anderer Zeuge, ein Journalist, berichtet, dass er von den Mubarak-Unterstützern angegriffen wurde, obwohl er sich als Journalist zu erkennen gegeben habe. Mehrere Menschen seinen von den Mubarak-Unterstützern, die er als sehr gewalttätig beschrieb, verletzt worden. Diese seien gut organisiert und erhielten über eine Brücke ständig neue Unterstützung, wenn sich Kräfte von ihnen zurückziehen.

Analyse: Diese Vorgänge sind Ausdrucks eines verdeckten, indirekten Versuch des Regimes die Armee auf die eigene Seite zu ziehen und zum Einsatz gegen das Volk zu bewegen. Sobald das die Armee aber tut und Schusswaffen einsetzt – gegen wen auch immer – wird das Regime von der Armee sofort verlangen überall die Sicherheit zu übernehmen und die Soldaten dazu weiter unter Druck setzen.

16.24 Uhr

Die Mubarak-Unterstützer scheitern mit einem weiteren Angriff auf den Tahrir-Platz an den Barrikaden der Freiheistbewegung. Ein leeres Militärfahrzeug wird gegen die Barrikaden gerollt, doch die Regime-Gegner bleiben standhaft und schlagen die Mubarak-Unterstützer wieder zurück.

Bericht: Mohammed El Baradei fordert ein Eingreifen der Armee.

16.30 Uhr (17.30 Uhr ägyptischer Zeit)

Es wird langsam dunkel in Kairo. Die Straßenschlacht hält an.

Twitterer Ashraf Khalil berichtet aus Kairo, dass sich laut Zeugen eine Menge Agenten und Polizisten in zivil unter die Regime-Gegner auf dem Tahrir-Platz gemischt haben.

Bereits vor einigen Stunden berichtete CNN-Reporter Anderson Cooper von einem Angriff auf sein Team durch Mubarak-Unterstützer beim Nationalmuseum. Die US-Journalisten können unter Hieben und Tritten knapp den Hilfstruppen des von der US-Regierung massiv gestützen Mubarak-Regimes entkommen.

Unterdessen hält Ban Ki Moon, der irrelevante Generalsekretär einer sich selbst abschaffenden irrelevanten Organisation namens „Vereinte Nationen“, irgendeine irrelevante Ansprache vor irgendwelchen Fernsehkameras.

16.45 Uhr

Am Tahrir-Platz taucht zum ersten Mal eine Ambulanz auf.

16.50 Uhr

Analyse: Der zweite Versuch des Regimes vom 82 Jahre alten Diktator Husni Mubarak – in dem Omar Suleiman die Fäden zieht – mittels einer Aufstandsbekämpfungs-Taktik die Situation unter Kontrolle zu bringen ist gescheitert. Die von „Sicherheitskräften“ und Agent Provocateurs des Regimes angeführten zivilen Einheiten sind zurückgeschlagen, die Eroberung des Tharir-Platzes ist fehlgeschlagen.

Und was für die Kräfte hinter der Diktatur über Ägypten noch viel schlimmer ist: die ganze Welt schaut dabei zu und weiß, was da geschieht.

17.00 Uhr

Unter die irrelevanten Absonderungen reiht sich EU-Außenbeauftragte Catherine Ahston ein.

Kommentar: Rücktritt des Diktators. Alles andere ist irrelevant.

Der Großmufti von Ägypten, traditionell ein Mann des Regimes, ruft alle Ägypter auf nach Hause zu gehen.

Kommentar: Der Aufruf ín einem Volksaufstand gegen die Diktatur nach Hause zu gehen, ist der Aufruf sich wieder der Diktatur zu beugen.

17.13 Uhr

Von den Dächer mit Molotow-Cocktails / Brandbomben geworfen. Es ist noch nicht bestätigt – aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es ebenfalls die regimetreuen Mubarak-Unterstützer sind. (Bestätigung 17.30: Es sind Regimetreue, die von den Dächern um des Tahrir-Platzes Brandbomben auf die Regimegegner auf dem Platz werfen, wo gestern 2 Millionen Menschen noch den Rücktritt des Diktators gefordert haben).

Ein Zeuge, Ali Abdel Wahab, berichtet per Telefon, wie am Nachmittag einige Tausend regimetreue Kräfte in zivil geschlossen auf den Tahrir-Platz vorrückten.

17.20 Uhr

Korrespondentin Patty Culhane aus Washington berichtet vom Telefonat zwischen Diktator Husni Mubarak und US-Präsident Barack Obama am gestrigen Abend. In diesem seien, so hieße es in Washington hinter vorgehaltener Hand, deutliche Worte gefallen. Obama hätte Mubarak klar gemacht, dass seine Zeit vorbei sei und sofortige demokratische Reformen angemahnt.

17.30 Uhr

Während die organisierten Regimetreuen am Nationalmuseum weiter Kräfte zusammen ziehen, sind nur ein paar Tausend Ägypter aus der Freiheitsbewegung auf dem Tahrir-Platz.

Analyse: Werden es noch weniger Menschen auf dem Tahrir-Platz, beginnt der Angriff der Regimetreuen.

Ein früherer Direktor im Mubarak-Regime, Mahmoud Ali Sabra, äußert sich erschüttert über die „Kriminellen“, die der Diktator nun als „letzte Ressource“ für sich rekrutiert. Er appelliert an US-Präsident Barack Obama Diktator Mubarak aufzufordern zurückzutreten – sofort. Sabra wörtlich:

„Dies ist die einzige Botschaft, die wir von den Führern der freien Welt akzeptieren“

17.50 Uhr

Das Mubarak-Regime lehnt in einem Statement die internationalen Aufforderungen nach einer Machtübergabe ab.

Eine Reportage von Korrespondentin Jacky Rowland aus den Reihen der regimetreuen Mubarak-Unterstützer zeigt Polizisten in deren Reihen, die ihre Unterstützung für den Diktator bezeugen.

17.57 Uhr

Filmbericht: Ein Sprecher der israelischen Regierung, die das Mubarak-Regime stützt und versucht hat internationale Unterstützung für den Diktator zu organisieren, verkündet, man sei „sehr besorgt“ über das „Chaos“ in Ägypten.

Derweil gibt es immer mehr Berichte darüber (u.a. in der „Tagesschau“), dass die regimetreuen Kräfte versuchen die Anhänger der Freiheitsbewegung auf dem Tahrir-Platz einzukreisen und auf den Zugangsstraßen verhindern, dass weitere Regimegegner auf den Versammlungsplatz gelangen.

18.00 Uhr

Analyse: In den Al Jazeera Nachrichten heisst es, die Lage um den Tahrir-Platz hätte sich etwas beruhigt. Es ist zu befürchten, dass dies die Ruhe vor dem Sturm der Regimetreuen auf den Tahrir-Platz ist.

18.15 Uhr

Ein Fotograf berichtet per Telefon, dass er vom Tahrir-Platz in eine Moschee mit einem improvisierten Krankenhaus gekommen sei. In diesem seien im Sekundentakt neue Verletzte eingetroffen. Der Fotograf schätzt die Anzahl der Verletzten allein am Tahrir-Platz auf 1500.

Auf dem Platz durchsuchen Demonstranten Personen, die verdächtigt werden Agenten des Regimes zu sein. Mehrere Polizei-Ausweise werden in die Kamera des Al Jazeera Live Streams gehalten.

18.21 Uhr

Ein ehemaliger General des Militärgeheimdienstes, Mahmoud Zaher, wird auf Al Jazeera live interviewt. Er erklärt sinngemäß:

– Husni Mubarak ist nicht mehr dass gesetzliche Staatsoberhaupt und nicht mehr akzeptabel für die Streitkräfte.

– Wir rufen alle Menschen auf den Straßen, besonders die Jugend, auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und das besetzte Nationalmuseum zu räumen.

– wir appellieren an die Oppositionsparteien, insbesonder an Mohammed El Baradei, von populistischen Aktionen Abstand zu nehmen und insbesondere die regionale Stabilität in Erwägung zu ziehen.

Anzunehmen, dass Mahmoud Zaher der gleiche General des Militärgeheimdienstes ist, der um 17.41 Uhr (unserer Zeit) gebenüber Al Jazeera wörtlich gesagt hatte:

„Ich erwarte, dass die Armee Mubarak entmachtet…Mubarak ist bereit das Land niederzubrennen.“

17.21 Uhr

Ein Regimegegner äußert gegenüber Al Jazeera über die Situation auf dem Tahrir-Platz:

„Es ist ein Belagerungszustand. Das Bild, was wir dazu einfällt, ist das vom Tiananmen Platz.“

Nur Sekunden später beginnt das Staatsfernsehen eine sich wiederholende Ansage:

„Sie müssen den Tahrir-Platz sofort verlassen. Wir haben bestätigte Informationen, dass gewalttätige Gruppen sich auf den Tahrir-Platz zu bewegen, Brandbomben mit sich führen und vorhaben den Platz niederzubrennen.“

Analyse: Ein weiterer schlechter Witz des Regimes. Man kündigt selbst etwas an, was man schon versucht hat und gescheitert ist.

Diese Panikmache der Diktatur – wohlgemerkt zu einer Zeit, als die Abendnachrichten im Westen bereits begonnen haben und der ehrenwerte Präsident in Washington mittlerweile wach ist  – ist nun der Versuch mit Angst das zu erreichen, was man vorher am Boden nicht erreicht hat.

Demgegenüber ist weiterhin anzunehmen, dass die Ägypter vor der Diktatur nicht zurückweichen werden. Hinzu kommt, dass die deutliche Warnung eines ehemaligen General des Militärgeheimdienstes ein sehr deutliches Signal an das Regime ist. Sollte es jetzt vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu einem Blutbad auf dem Tahrir-Platz kommen, könnte der Armee letztlich der Geduldsfaden mit dem Diktator reissen.

19.13 Uhr

In Washington tritt der Sprecher des Weissen Hauses, Robert Gibbs, vor die Kameras. Er sagt sinngemäß:

Die Gewalt in Kairo ist von der Regierung inszeniert. Es ist jetzt an der Zeit den Machtübergang zu gestalten. Es muss einen Prozess geben, der zu freien Wahlen führt. Dieser Prozess muss jetzt beginnen.

Wörtlich sagt Gibbs:

„Die Zeit für einen Wechsel ist gekommen.“

19.50 Uhr

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass während dem letzten Angriff von Mubarak-Unterstützern am Nachmittag auch Mubaraks „Sicherheitskräfte“ Brandbomben auf den Tahrir-Platz geworfen haben.

Zur Zeit ist es ruhig auf dem Platz, auf dem sich noch einige Tausend Regimegegner aufhalten.

20.00 Uhr

Deutschland, Staatsfernsehen. Tagesschau. Zuerst heisst es (wie aus dem billigen Automaten gezogen) der „friedliche Protest gegen Präsident Mubarak“ sei doch noch in Gewalt umgeschlagen.

Kommentar: Man weiss es nicht – sind die so oder können die nicht anders?

Dann darf Jörg Armbruster, der mittlerweile aus dem ARD-Studion flüchten musste (bestimmt vor Dissidenten), doch noch folgendes von sich geben: ein Mitglied des ARD-Teams hat mit eigenen Augen gesehen, wie Polizisten auf einem Motorrad Brandbomben bastelten.

20.19 Uhr

Ein Zeuge aus der Freiheitsbewegung berichtet vom Tahrir-Platz, dass sich die Regimetreuen 400 Meter entfernt vom Tahrir-Platz aufhalten, äußert sich aber zuversichtlich diese wie in den letzten sechs Stunden zurückzuschlagen und den Platz zu halten.

Mittlerweile sind einige Krankenwagen auf dem Platz erschienen und haben Verletzte abgeholt. Eine andere Zeugin hatte zuvor per Telefon berichtet, dass in den Stunden zuvor Verletzte in Privatautos selbst in die Krankenhäuser gebracht werden mussten.

20.40 Uhr

Auf Al Jazeera berichtete die Washingtoner Al Jazeera Reporterin vor ca. anderthalb Stunden, dass der Chef der Vereinigten Generalstäbe des US-Militär, Michael Mullen, mit dem Generalstabschef Generalstabschef des ägyptischen Militärs, Sami Enan, telefoniert hat. Es erschloss sich dabei nicht ganz, wann die höchsten Militärs der USA und Ägypten sich abgesprochen haben, gestern oder heute. (Das Gespräch fand heute statt.)

Allein dass bekannt geworden ist, dass die beiden Generalstabschefs telefoniert haben, ist für sich schon eine Botschaft. Vom Inhalt wurde in Washington nur folgendes bekannt gegeben: US-Generalstäbe-Leiter Mullen habe sein Vertrauen äußert,

„in die Fähigkeiten des ägyptischen Militärs für die Sicherheit seines Landes zu sorgen, sowohl im Inneren, als auch in der ganzen Suez Kanal Region“

Die Al Jazeera Korrespondentin übersetzte dies als die indirekte Aufforderung Mullens an das äygptische Militär einzugreifen.

Analyse: Genau das hat das ägyptische Militär heute nicht getan, wie schon beschrieben durchaus aus nachvollziehbaren Gründen. Offensichtlich hatte es das Mubarak-Regime genau darauf angelegt.

Zumindest deutet dieser Widerspruch auf eine Menge intensiver Diskussionen zwischen Kairo und Washington – und eventuell auch zwischen Washington (Weisses Haus) und Washington (Pentagon).

Nur zur Erinnerung: Generalstabschef Sami Enan war vom Mittwoch letzter Woche bis zum Freitag zu Besuch in Washington – zu Gesprächen mit dem US-Militär, wie es hieß. Dass Enan sich auch mit dem Weissen Haus abgesprochen hat, ist anzunehmen. Die Rolle von Generalstabschef Enan am heutigenTag in Kairo wird jedenfalls noch zu diskutieren sein. Der Chef der ägyptischen Streitkräfte ist seit Tagen völlig abgetaucht.

21.00 Uhr

Omar Suleiman erklärt, es gibt keinen Dialog mit dem Volk, bis dieses seine Proteste einstellt.

Analyse: Sowohl eine klare Antwort an das Weisse Haus und dessen Ansage sofort Reformen einzuleiten, als auch das deutliche Anzeichen von Realitätsverlust. Der Strippenziehers hinter dem Diktator hat damit sein Schicksal uneingeschränkt mit dem Mubaraks verknüpft. Es wird das Gleiche sein, so oder so.

21.00 Uhr

Immer noch sind in Kairo Schüsse zu hören. Es gibt zudem mehrere unabhängige Berichte über Gewehrfeuer aus Automatikwaffen (Maschinenpistolen, etc). Es ist offensichtlich, dass die Regimegegner – die vor neun Tagen ihren in der Geschichte Ägyptens einmaligen Volksaufstand begannen – solche Waffen nicht besitzen.

21.10 Uhr

Ahmed Saber zu Besuch bei Al Jazeera. Ahmed Saber ist Krawattenträger. Aber was er sonst noch ist, wird nicht ganz ersichtlich. Saber wird jedenfalls vorgestellt als Oppositionspolitiker.

Analyse: Man muss immer wieder fragen: wo sind diese angeblichen „Oppositionsführer“ und „Oppositionsparteien“, mit ihrem zehnköpfigen Komitee dass sie gestern unter viel Buhei gegründet haben, um sich dann beim Marsch der Millionen nicht einmal auf den Tahrir-Platz sehen zu lassen?

Es hat den Anschein, als ob Nutznießer und politische Funktionäre bereits hinter dem Rücken der ägyptischen Freiheitsbewegung mit  Suleiman die Nachfolge bzw Kontinuität des Regimes aushecken und an einer Graswurzelbewegung, einer demokratischen Freiheitsbewegung, überhaupt kein Interesse haben können.

21.16 Uhr

Militär ist auf dem Tahrir-Platz aufgefahren. Schüsse sind gefallen.

Eine etwas verwirrte Korrespondentin weiss nicht, wer da gefeuert hat.

Bewegung in der Menge auf dem Platz. Bewegung auch bei den regimetreuen Pro-Mubarak-Gangs, die sich bisher ca. 400 Meter vom Tahrir-Platz in einer Seitenstraße aufgehalten haben.

Der Tahrir-Platz ist jedenfalls in der Hand der Freiheitsbewegung. Das Militär feuert nicht auf die Regime-Gegner.

21.27 Uhr

Panzer der Armee stehen auf dem Platz, umringt von Menschen.

Wasserwerfer sind auf dem Tahrir-Platz im Einsatz. Brandsätze werden geworfen. Im Nationalmuseum werden abermals Brände gemeldet.

Eine Korrespondentin meldet, dass laut Zeugen die Armee nahe des Nationalmuseums, wo sich die Pro-Mubarak-Gruppen aufhalten, Warnschüsse abgefeuert hat.

Erste Einschätzung: offensichtlich ist die Menge von regimetreuen Mubarak-Unterstützern unter Druck durch Regime-Gegner geraten, die die Mubarak-Gangs von einer anderen Seite der Kreuzung angegriffen haben, so sich die Regimetreuen aufhalten. Auch aus Richtung Tahrir-Platz ist zu sehen, dass Regime-Gegner (mit improvisierten Schilden) gegen die Mubarak-Unterstützer auf der Kreuzung vorgerückt sind.

Die regimetreuen Mubarak-Unterstützer setzen Brandbomben ein.

21.50 Uhr

Am Telefon bestätigt „Karim“ von der Freiheitsbewegung: die Pro-Demokratie-Aktivisten sind zum Angriff gegen die Regimetreuen übergegangen. Wie der Zeuge schildert, sind die Mubarak-Unterstützer mittlerweile von allen Zugängen zum Tahrir-Platz vertrieben worden, ausser von der nördlich gelegenen Kreuzung vor dem Nationalmuseum / Ägyptischen Museum an der Brücke des 6.Oktobers

Beide Seiten setzen Molotow-Cocktails ein.

22.00 Uhr

Mag es Zufall sein oder nicht: ausgerechnet am heutigen Mittwoch wird überraschend bekannt, dass der vom israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak nominierte Generalstabschef Joav Galant nun doch nicht oberster Militär des Militärstaates wird: Barak zog Galants Nominierung ungalant zurück.

Kommentar: Angeblich geht es um krumme Immobiliengeschäfte. Doch die gehören in Israel erstens zum schlechten Ton gehören und zweitens schon längst bekannt waren. Hatte da jemand einen schlechten Job gemacht, ohne ihn offiziell je gemacht zu haben?

22.20 Uhr

Die Aktivisten der Freiheitsbewegung sind von zwei Seiten auf den Platz vor dem Nationalmuseum vorgerückt und haben die Regimetreuen von ihrem letzten Sammelpunkt an der Brücke des 6.Oktobers vertrieben.

VIKTORIA!

Auf der Brücke sind unter den Reihe der Regimetreuen Uniformierte und Behelmte zu sehen (offensichtlich Polizisten), die von oben Steine und Brandbomben auf die siegreichen Dissidenten werfen.

23.00 Uhr

In Kairo sind die Dissidenten der Freiheits- und Demokratiebewegung siegreich gegen die Loyalisten des Diktators.

In Washington herrscht derweil eine Mischung zwischen Verwirrung, Sorge und Aufruhr.

Mittlerweile haben zwei prominente Neokonservative, Senator John Kerry (Demokraten) und John McCain (Republikaner) Ägyptens Diktator Husni Mubarak zum Rücktritt aufgefordert. Aussenminister Hillary Clintons Sprecher legte vor wenigen Minuten eine geradezu legendären Stotter-Auftritt hin. Auf energische Nachfragen der Journalisten endlich irgendeine verifizierbare Aussage zu treffen, wiederholte der die Forderung von US-Präsident Barack Obama nach einer „sofortigen“ Machtübergabe. Eigentliche Information des Auftritts: Clinton hat im Laufe des Mittwochs mit Omar Suleiman telefoniert.

Zuvor war in einem Statement Clintons vor über 200 Botschaftern der Staaten der…  vor über 200 Botschaftern der Regierungen der Welt sowohl die historische Dimension der Freiheitsbewegungen im Arabischen Raum, als auch die Zwickmühle deutlich geworden, in der die traditionell Diktaturen stützende US-Politik nun steckt:

„Es muss nicht ausgesprochen werden — aber ich werde es trotzdem sagen — dass dies eine entscheidende Zeit für Amerikas globale Führerschaft ist. Vom Diebstahl von vertraulichen Botschaftsdepeschen, über Protestbewegungen des 21.Jahrhunderts, bis zu Durchbrüchen in Entwicklungen die das Potential haben das Leben von Millionen zu verändern, sind wir alle auf Territorium, dass auf keiner Karte verzeichnet ist; und das fordert von uns, das wir wendiger, innovativer und verantwortlicher sind als jemals zuvor.“

23.50 Uhr

Auf Al Jazeera sagt ein weiterer Zeuge aus, dass er selbst Agenten und Polizei-Kräfte mit zahlreichen Trucks und Transportwagen unter den Regimetreuen eintreffen sah.

Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 10