Die Chronik des Neoliberalen Irrsinns – Juni 2010

Das Jahr 2010 neigt sich seinem Ende zu und allmählich verklärt sich der Blick auf das Vergangene. Damit aber das weihnachtliche Vergeben und Vergessen nicht allzu großzügig ausfällt, hat der Politologe und Philosoph Egbert Scheunemann auch in diesem Jahr mit seiner „Chronik des neoliberalen Irrsinns“ eine sowohl subjektive wie informative Jahres-Chronik erstellt, die Radio Utopie in monatlichen Kapiteln dokumentiert.  Nicht alle Meinungen und Auffassungen des Autors müssen dabei mit denen der Redaktion übereinstimmen.

Die ersten fünf Jahre der „Chronik des Neoliberalen Irrsinns“ (2003-2008)  sind bereits als Buch erschienen. Die Chronik 2010 ist hier im Original als PDF zu lesen.

Die Chronik des Neoliberalen Irrsinns – Januar 2010
Die Chronik des Neoliberalen Irrsinns – Februar 2010
Die Chronik des Neoliberalen Irrsinns – März 2010
Die Chronik des Neoliberalen Irrsinns – April 2010
Die Chronik des Neoliberalen Irrsinns – Mai 2010

JUNI

„Arbeitgeber schlagen Einsparungen bei Arbeitslosen vor.“
(www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5iZl49ZBRVAt7n_Z9hxtr6_6Ds65w; 3. Juni 2010)
(Ich schlage die Einsparung solcher Arbeitgeber vor sowie die Einsparung von Arbeitslosen durch deren Einstellung in den öffentlichen Dienst, finanziert mittels Einführung einer Kapitaltransaktionssteuer sowie durch Erhöhung der Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen. E.S.)

„Gesamtmetall warnt vor Regulierung der Zeitarbeit.“
(www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article7904473/Gesamtmetall-warnt-vor-Regulierung-der-Zeitarbeit.html; 4. Juni 2010)
(Die Deregulierung des Arbeitsmarktes war ja bekanntlich äußerst erfolgreich – wie Millionen von Arbeitslosen seit inzwischen 30 Jahren (!!) zeigen. Ende der 1970er Jahre setzte der Siegeszug des Neoliberalismus nämlich ein. E.S.)

„Arbeitgeber fordern Kürzung des Arbeitslosengeldes… Die Arbeitgeber fordern die Bundesregierung auf, die Ausgaben für Arbeitslose um sechs Milliarden Euro zu kürzen. „Auch die Arbeitsmarktpolitik kann und muss einen Beitrag leisten“, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt…“
(www.abendblatt.de/politik/article1518935/Arbeitgeber-fordern-Kuerzung-des-Arbeitslosengeldes.html; 4. Juni 2010)
(Das immergleiche, ebenso asoziale wie volkswirtschaftlich kontraproduktive Hundtgebell. E.S.)

„Länder spielen bei Solarkürzung nicht mit.“
(www.heute.de; 4. Juni 2010)
(Die Sonne soll vielmehr vollständig erhalten bleiben. E.S.)

„In der Union mehren sich die Stimmen, die Steuererhöhungen fordern. Doch die Kanzlerin will den Schwerpunkt aufs Sparen legen und den Rotstift bei den Sozialausgaben ansetzen. Dem Vernehmen nach hat sie dabei auch Hartz IV-Regelungen im Visier.“
(www.heute.de/ZDFheute/inhalt/14/0,3672,8077198,00.html; 5. Juni 2010)
(Weswegen sind weltweit die Staatsschulden und die Staatsdefizite in den letzten beiden Jahren so dramatisch gestiegen? Wegen der von den Banken verursachten Finanzmarkt- und Realwirtschaftskrise und den Multimilliarden, die die Staaten ins kapitalistische Finanzsystem transferierten, um es zu stabilisieren. Wer soll dafür zahlen? Die Schwächsten, die Ärmsten natürlich. So kennen wir dieses menschenverachtende, ich erlaube mir mal deutlich zu werden: Dreckssystem samt seiner politischen Bediensteten. E.S.)

„Arbeitgeber fordern Fünf-Euro-Gebühr bei Arztbesuchen.“
(www.heute.de; 6. Juni 2010)
(Das Kalkül: Einkommensschwache werden dadurch von Arztbesuchen abgeschreckt, sie verschleppen Krankheiten und sterben so, im statistischen Mittel, Jahre früher. Das entlastet die Renten- und andere Sozialkassen. Was will man, zumindest wenn man Eigner eines neoliberal zutiefst degenerierten Hirnes ist, mehr? E.S.)

„Das Sparpaket der Bundesregierung… Die Regierung hat sich bei der Entscheidung, wo gespart werden soll, vor allem auf den Sozialbereich konzentriert.“
(www.tagesschau.de und www.tagesschau.de/inland/sparbeschluesse100.html; 8. Juni 2010)
(Wie nicht anders zu erwarten war. Wenigen positiven Posten – Abbau der Vergünstigungen bei der Ökosteuer für energieintensiv arbeitende Unternehmen, eine Brennelementesteuer für AKW-Betreiber, eine Abgabe für den Flugverkehr (eine normale Besteuerung des Flugbenzins wäre die weit bessere Lösung) und immerhin ein Beschluss, demnächst eine Bankenabgabe zu beschließen, sowie die Ankündigung, eine Reduzierung der Streitkräfte zumindest zu prüfen – stehen die üblichen asozialen Schweinereien gegenüber: Kürzung des Elterngeldes und komplette Streichung desselben für Hartz-IV-Empfänger, komplette Streichung des Rentenzuschusses für Hartz-IV-Empfänger, Milliardeneinsparungen im Arbeitsfeld des Arbeitsministeriums und umfangreiche Stelleneinsparungen im öffentlichen Dienst. Nichts begriffen, nichts kapiert. Mein Sohnemann nennst solche Leute üblicherweise ‚Pfosten’. E.S.)

„Nach einer Selbstmordserie unter seinen Arbeitern in Südchina hat der Elektronikhersteller Foxconn erneut Lohnerhöhungen angekündigt. Mitarbeiter sollen nun 70 Prozent mehr bekommen – umgerechnet rund 240 Euro im Monat. Immer noch viel zu wenig, kritisieren Arbeitsrechtsorganisationen.“
(www.tagesschau.de; 7. Juni 2010)
(Auf die Idee, bei vollem Lohnerhalt die Arbeitszeit und den Leistungsdruck zu senken, kommen diese Menschenschänder nicht. Die Reaktion ist klassisch kapitalistisch: finanzielle Entschädigung gegen eingetretenes Arbeitsleid und eingetretenen Schaden. Arbeitsleid und Schäden von vornherein zu verhindern, also menschlich und nicht kapitaladäquat zu reagieren, das kommt in diesem kranken Weltbild nicht vor. E.S.)

„Die Reichen sind wieder so vermögend wie vor der Krise… Es gibt wieder mehr Millionäre. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Millionärshaushalte auf der ganzen Welt auf 11,2 Millionen, das sind 14 Prozent mehr als noch 2008. In Deutschland wuchs die Zahl der Millionärshaushalte mit 23 Prozent sogar noch stärker.“
(www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article7997900/Die-Reichen-sind-wieder-so-vermoegend-wie-vor-der-Krise.html; 11. Juni 2010)
(Man lese die nachfolgende Meldung samt Kommentars als Kommentar. E.S.)

„Gleich um vier Stufen, und somit auf „Ramschstatus“, hat die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit Griechenlands zurückgestuft. Damit erhöhen sich die Kreditkosten für das verschuldete Land wohl weiter. Bereits Ende April hatte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Bonität Griechenlands gesenkt.“
(www.tagesschau.de; 15. Juni 2010)
(EU und IWF hatten über den gesamten Euroraum einen Kreditgarantieschirm von 750 Milliarden Euro gespannt. Dass jemand, der griechische Staatsanleihen kauft, sein Geld nicht zurück bekommt, ist also so wahrscheinlich, wie von einem Meteoriten getroffen zu werden. Wer verfolgt hat, in welchen Ausmaßen die Ratingagenturen in den letzten Jahren mit ihren Einschätzungen neben der Realität und Wahrheit lagen – nicht zuletzt das war ein Grund für den Ausbruch der letzten Finanzmarktkrise – , kann sich zielgenau die Firmenzentralen dieses Gesocks treffende Meteoriteneinschläge, so mein Rating, eigentlich nur wünschen. E.S.)

„Eine DIW-Studie belegt, was viele schon längst ahnten: Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland hat seit 2000 zugenommen – und könnte den Forschern zufolge mit dem Sparpaket weiter wachsen. In der Mittelschicht gibt es schon eine „Statuspanik“.“
(www.heute.de; 15. Juni 2010)
(Könnte! Ein Schuss in den Kopf könnte ein Loch verursachen! Echt! E.S.)

„Mit der Regierung unzufrieden wie noch nie. Schlechte Nachrichten für Union und FDP: Nur noch zwölf Prozent der Befragten im „ARD-Deutschland Trend extra“ sind mit der Regierungsarbeit zufrieden – ein neuer Tiefststand. Auch die Regierungspolitiker verlieren an Zustimmung. In der Sonntagsfrage schneidet die FDP zudem so schlecht ab wie seit Jahren nicht mehr.“
(www.tagesschau.de; 16. Juni 2010)
(Das ist der Beweis! 88 Prozent lesen diese Chronik! E.S.)

„Microsoft-Gründer Gates und Großinvestor Buffett haben ihre Milliardärs-Kollegen zum Spenden aufgerufen. Buffett erklärte, er sei mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006, 99 Prozent seines etwa 46 Milliarden Dollar schweren Vermögens zu stiften, sehr glücklich. Inzwischen soll es erste Nachahmer geben.“
(www.tagesschau.de; 17. Juni 2010)
(Wie kommt man an 46 Milliarden Dollar? Durch ehrliche Arbeit? Natürlich nicht. Es gilt also: Ausbeuter geben Teile ihres Raubgutes zurück. Sehr edel – von einem, wie Buffett, 80-Jähri-gen, der, falls er 90 werden sollte, noch immer jedes Jahr 46 Millionen, jeden Monat also fast vier Millionen Dollar auf den Kopf hauen kann. E.S.)

„ZDF Politbarometer. FDP kratzt an Fünf-Prozent-Hürde. Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, könnte die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Im aktuellen ZDF Politbarometer verloren die Liberalen wieder ein Prozent. Die SPD liegt in der politischen Stimmung erstmals in dieser Legislaturperiode vor der CDU.“
(www.heute.de; 18. Juni 2010)
(Fast Drei Prozent wüssten noch besser zu gefallen. E.S.)

„Die Entscheidung kommt einer Ohrfeige für Deutschlands Terrorfahnder gleich: Der Bundesgerichtshof hat eine jahrelange Observierung vermeintlicher linksextremistischer Terroristen für rechtswidrig erklärt. Es habe zu keinem Zeitpunkt ein ausreichender Tatverdacht bestanden, befand das Gericht.“
(www.tagesschau.de; 19. Juni 2010)
(In Deutschland links zu sein, ist der Tatverdacht. E.S.)

„Autoindustrie boomt dank China. Spitzen-Modelle gefragt – Export-Prognose verdoppelt. Nichts mehr mit Krise: Die deutsche Autoindustrie kann sich vor Aufträgen kaum mehr retten. Sonderschichten, mehr Leiharbeiter und keine Sommerferien – das ordneten vor allem BMW, Daimler und Audi an. Der Grund: die hohe Nachfrage aus China… So habe sich der Absatz der S-Klasse von Mercedes im Mai um 41 Prozent erhöht, der der E-Klasse um 39 Prozent. Auch BMW habe die höchsten Zuwächse mit einem Plus von 34 Prozent mit seiner 7er Reihe verzeichnet.“
(www.heute.de/ZDFheute/inhalt/16/0,3672,8080464,00.html; 19. Juni 2010)
(Das ist der Kommentar der Wirklichkeit zur reihum halluzinierten Eurokrise. Übrigens habe ich auch diese Entwicklung vorausgesagt: Man vergleiche weiter unten die erste der drei Meldungen zum 17. Mai 2010 samt Kommentars. E.S.)

„Der rasche Aufschwung überrascht viele Autokonzerne und andere Exportfirmen. Wo kürzlich noch die Bänder still standen, wird nun an sieben Tagen pro Woche gearbeitet. Der Wertverfall des Euro kommt den Unternehmen dabei nur teilweise zugute.“
(www.tagesschau.de; 22. Juni 2010)
(Wer diese Chronik regelmäßig liest, versteht, dass mich an dieser Entwicklung ganz und gar nichts überrascht. Man vergleiche auch die nachfolgende Meldung. E.S.)

„Das Bundesarbeitsgericht hat die Tarifeinheit gekippt und lässt damit mehr Konkurrenz unter den Gewerkschaften zu. Der jahrzehntelange Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ wird aufgegeben. Arbeitgeber und Deutscher Gewerkschaftsbund befürchten, dass nun jede Berufsgruppe ihr eigenes Süppchen kochen wird.“
(www.tagesschau.de; 24. Juni 2010)
(Divide et impera! Deutsche Justiz systemkonform wie immer. E.S.)

„Deutsche Finanzpolitik seit 2000. Direkte Steuern runter, indirekte Steuern rauf. Deutschland hat im vergangenen Jahrzehnt die Besteuerung von Unternehmen deutlich gesenkt. Im EU-Vergleich fallen besonders die Einschnitte bei der Körperschaftssteuer auf. Dagegen setzte die Bundesrepublik im Gegensatz zu vielen EU-Staaten auf eine deutliche Anhebung der Mehrwertsteuer.“
(www.tagesschau.de; 29. Juni 2010)
(Direkte Begünstigung des Kapitals und der Kapitalisten rauf, indirekte Steuern und damit direkte Belastung der kleinen Leute ebenso. E.S.)

„Siemens will eine eigene Bank gründen.“
(www.tagesschau.de; 29. Juni 2010)
(Das Schmiergeld wird nur so flutschen. E.S.)

„FDP distanziert sich von Hotel-Steuer. „Das müssen wir jetzt korrigieren.“ Nach der Wahl hatte die FDP die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Hotels durchgesetzt. Obwohl es sofort danach Kritik von allen Seiten hagelte, hielt sie an dem Beschluss fest. Neun Monate später mehren sich nun allerdings auch an der Parteispitze die Stimmen, die eingestehen: Das war ein Fehler.“
(www.tagesschau.de; 29. Juni 2010)
(Das Verhältnis der Liberalen zu inhaltlicher Standhaftigkeit war schon immer ein recht liberales, was zumindest in diesem Falle recht erfreulich erscheint. E.S.)

„Wulff oder Gauck – die Wahl hat begonnen.“
(www.tagesschau.de; 30. Juni 2010)
(Ob nun Gulff oder Wauck den Präsidentendarsteller mimen werden – das wird die Weltgeschichte so beeinflussen wie die Haarfarbe meiner Großmutter. E.S.)

Die “Chronik des Neoliberalen Irrsinns – Juli 2010? erscheint morgen.