In Afghanistan ist übrigens immer noch Krieg
Es gibt eine sehr große Diskrepanz zwischen dem was unsere Qualitätsmedien über den Krieg gegen die afghanische Zivilbevölkerung berichten und dem was wirklich in Afghanistan passiert. Natürlich sind unsere Propagandamedien auch nicht dafür gedacht die Wahrheit zu berichten, aber das Bild, das sie zeichnen oder besser nicht zeichnen ist ein echtes Armutszeugnis des deutschen Journalismus.
Fidelius Schmid müht sich zwar redlich, aber kommt auch nur selten auf den Punkt.
60.000 Soldaten aus 40 Nationen kämpfen in Afghanistan inzwischen gegen die Taliban. Der Erfolg bleibt bisher aus. Der Gegner verkriecht sich in unkontrollierte Täler in Pakistan. Und der Nato-Schutztruppe bleibt eines: ihre Toten zu zählen.
Zwei frisch gestrichene weiße Blechcontainer mit Fenstern leuchten in der Sommersonne. Rund um einen Gedenkstein hat jemand Topfpflanzen in den Kies gestellt. Drei Flaggen hängen regungslos in der Windstille – fast idyllisch liegt der kleine Komplex am Khaibarpass zwischen Afghanistan und Pakistan unter dem wolkenlosen Himmel, angeschmiegt an die Berge des Hindukusch.
Der Krieg scheint weit weg zu sein. Doch er ist nah. Durch die malerische Bergwelt am Khaibarpass knattern zwei Militärhubschrauber. Amerikanische Soldaten in Kampfanzügen laufen auf und ab. „Seid Ihr hier beschossen worden?“, fragt John Craddock. Keine 100 Kilometer entfernt von hier haben Aufständische aus Pakistan einen amerikanischen Vorposten überfallen. Neun US-Soldaten starben. Die internationale Afghanistan-Schutztruppe Isaf räumte den Posten.
Der Text hat Lyrik und besonders die Topfpflanzen kommen gut. Allerdings klingt das Ganze doch eher nach Zollkontrolle als nach Verteidigung. Das Räumen der Posten kennen die Älteren noch gut. Das machten die USA im Vietnamkrieg schon gerne. Zum Schluss räumten sie Saigon und die Bilder der Menschen die ihre Hände flehend zum letzten Hubschrauber reckten, waren herzzerreißend. Sie hatten den Amerikanern geglaubt und gegen ihre Brüder gekämpft. Sie zahlten einen hohen Preis dafür, dass sie Uncle Sam geholfen hatten.
Die Afghanen kennen die Amerikaner. Denen braucht niemand etwas über die USA zu erzählen. Als sie für die USA einen Stellvertreterkrieg gegen die Russen führten, wurden sie mit Waffen und Versprechungen überhäuft. Als Russland verloren hatte, waren die USA nicht mehr an Afghanistan interessierte. Sie haben, wie schon so oft die Menschen einfach fallen lassen.
Mittlerweile ist die Geschichte wie sie Knut Mellenthin gekonnt zusammenfasst auch Gesprächsthema in den Häusern und an den Lagerfeuern Afghanistans.
Der französischen Wochenzeitung Le Nouvel Observateur erzählte Brzezinski 1998: »Nach der offiziellen Version begann die Hilfe der CIA für die Mudschaheddin im Verlauf des Jahres 1980. Also erst, nachdem die sowjetische Armee am 24. Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert war. Aber die bis heute sorgfältig gehütete Wahrheit ist völlig anders: Tatsächlich war der 3. Juli 1979 der Tag, an dem Präsident Carter die erste Direktive über geheime Hilfe für die Gegner des prosowjetischen Regimes in Kabul unterschrieb. Und genau an diesem Tag schrieb ich dem Präsidenten eine Notiz, in der ich ihm meine Ansicht erläuterte, daß diese Hilfe eine sowjetische Militärintervention zur Folge haben könnte.« (Le Nouvel Observateur, 15.–21. Januar 1998) Auf eine Nachfrage präzisierte Brzezinski: »Wir haben die Russen nicht dazu getrieben zu intervenieren, aber wir haben bewußt die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß sie es tun würden.« Brzezinski war damals Sicherheitsberater des demokratischen Präsidenten James Carter (Amtszeit 1977-1981), der für sein Lebenswerk im Jahr 2002 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
»Je ne regrette rien«
Bereut Brzezinski nachträglich das amerikanische Vorgehen, wollte das französische Blatt von ihm wissen. Klare Antwort: »Was denn bereuen? Diese Geheimoperation war eine erstklassige Idee. An dem Tag, als die sowjetischen Truppen offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich an Präsident Carter: Wir haben jetzt die Chance, der Sowjetunion ihren Vietnamkrieg zu bescheren. Und in der Tat, fast zehn Jahre lang mußte Moskau einen Krieg führen, den die Regierung nicht durchhalten konnte, einen Konflikt, der zur Demoralisierung und schließlich zum Zusammenbruch des Sowjetimperiums führte.«
»Und Sie bereuen auch nicht, daß Sie den islamischen Fundamentalismus unterstützt, daß Sie künftigen Terroristen Waffen geliefert und Ratschläge gegeben haben?« setzten die Leute vom Nouvel Observateur nach. Brzezinskis kühle Antwort: »Was ist für die Weltgeschichte wichtiger? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetimperiums? Ein paar aufgeputschte Moslems oder die Befreiung Mitteleuropas und das Ende des Kalten Krieges?«
Zbigniew Brzezinski ist übrigens der Berater von Barack Obama. Aber zumindest dürfte er heute wissen, wie teuer ein paar aufgeputschte Muslime werden können, wenn man ihnen kein vernünftiges Leben lässt. Was die Amerikaner allerdings heute nicht mehr wissen, ist das man einen Krieg in Afghanistan nicht gewinnen kann.
Fidelius Schmid ist da anderer Meinung.
Zusammen mit dem amerikanischen Antiterroreinsatz schicken 40 Nationen 60.000 Soldaten in ein Land, das so groß ist wie Deutschland und Italien zusammen und für dessen Kontrolle nach Berechnungen des US-Militärs mindestens 400.000 Mann nötig wären. Über 700 Kilometer Gebirge sind zu überwachen – allein im amerikanischen Sektor im Osten Afghanistans.
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Abhilfe könnte nur die pakistanische Regierung schaffen. Doch anstatt die Taliban in den Stammesgebieten zu bekämpfen, hat sie ein Stillhalteabkommen mit ihnen geschlossen.
Egal welche Zahl an Soldaten genannt wird. Selbst wenn es zwei Millionen wären, könnten sie Afghanistan nicht befrieden. Es ist ein Land des Krieges. Schon als die Engländer versuchten Afghanistan zu unterwerfen, bezogen sie regelmäßig Prügel. Ein Desaster jagte das andere.
Pakistan hat gar keine Wahl. Der Diktator von Amerikas Gnaden und Atombombenbesitzer wird von allen Seiten gehetzt. Die Bevölkerung würde ihn lieber heute als morgen loswerden, die Amerikaner sind auch nicht mehr ganz glücklich, aber es sind ja nicht nur die Taliban in diesem Gebiet, sondern auch die Drogenbarone und Kriegsherren der Amerikaner. Niemand weiß noch so genau, wer eigentlich wer ist.
Es ist Nacht in Afghanistan, dunkle Nacht und in der Nacht sind alle Katzen grau. Da wird auf alles geschossen was sich bewegt. Soldaten, Milizen, oder Taliban bewegen sich so, dass sie nicht gesehen werden. So sind meist Zivilisten die Opfer. Gerne auch Hochzeitsgesellschaften oder sonstige Familienfeste. Natürlich trifft es immer nur Taliban. Zumindest offiziell.
In Wirklichkeit weiß niemand, wer Taliban, Miliz, oder einfach nur Afghane ist. Aber erschossen werden sie vorsichtshalber erst einmal alle. Dass ist wie damals mit dem Vietcong. Wer nicht zum Vietcong gehörte, dem erschoss man solange die Verwandten und Freunde bis er überlief. So haben die Amerikaner sich schon früher ihre Feinde groß gezogen.
Zu dem ganzen Dilemma kommen dann auch noch die ethnischen Minderheiten und der teilweise Jahrhunderte alte Kampf zwischen den Ethnien.
Vor einem Ausufern bewaffneter regionaler und ethnischer Konflikte in Afghanistan warnt Caritas international. Das Hilfswerk der deutschen Caritas sieht jüngste Kämpfe in der zentralafghanischen Provinz Wardack, bei denen mehr als 35 Menschen getötet, 300 verletzt und 25.000 vertrieben wurden, als Vorboten einer weiteren Verschärfung der Sicherheitslage. „Die wachsende Gewalt bewaffneter Gruppen verwandelt Tag für Tag immer größere Regionen Afghanistans in gesetz- und rechtlose Räume. In diesen Gebieten werden Wiederaufbau und humanitäre Hilfe täglich schwieriger“, so Oliver Müller, Leiter von Caritas international.
Opfer der Gewalt in Wardack sind vor allem Bauern der ethnischen Minderheit der Hazara, die von bewaffneten Gruppen paschtunischer Nomaden angegriffen werden. Nach Ansicht von Caritas international offenbart der Konflikt, der ohne Eingreifen des Staates und seiner polizeilichen Kräfte seit Wochen ausgetragen wird, ein eklatantes Scheitern der Zentralregierung von Hamid Karsai und der sie unterstützenden internationalen Hilfe. „Konflikte wie in Wardack benötigen eine verlässliche Zentralregierung, die das Vertrauen der Bevölkerung genießt, und eine von Korruption befreite Polizei, die für Sicherheit sorgt. Beides gibt es derzeit offensichtlich nicht“, stellt Oliver Müller fest.
Wie aber kann eine starke Zentralregierung entstehen, wenn Hamid Karsai, der bestenfalls der Bürgermeister von Kabul ist, nichts anderes als der Befehlsempfänger einer schon weitgehend gescheiterten Besatzungsmacht USA und von deren widerwilligen Helfernationen ist. Die rechtsfreien Räume sind ja vielfach sogar erwünscht, weil man ja möglichen Verbündeten freie Hand lässt.
Wenn man über Afghanistan spricht, dann bleibt nur das Scheitern der jetzigen Methode zu konstatieren und sich zurück zu ziehen. So geht es auf keinen Fall weiter.